Energiewende und Digitalisierung zwischen Dezentralität und Zentralität: regionale und unternehmenskulturelle Perspektiven / EnerDigit

Ziel und Aufgabenstellung

Erneuerbare Energie ist überwiegend volatil: Windkraftanlagen können ohne Wind keine Energie liefern, Photovoltaiksysteme sind auf Sonnenlicht angewiesen. Im regulären Betrieb müssen daher Über- und Unterkapazitäten ausgeglichen werden – was nicht nur zu immer wiederkehrenden Abschaltungen norddeutscher Windparks, sondern auch zu leidenschaftlichen bis polemischen Debatten um Sinn und Unsinn der Energiewende führt.

Einigkeit besteht darüber, dass die Infrastruktur der Energiewende nicht nur aus Hochspannungsleitungen, Umspannstationen, Speicherkraftwerken u. ä. besteht. Vielmehr gilt es, eine intelligente Vernetzung und Steuerung der zahlreichen dezentralen Produzenten und Verbraucher zu erzielen. Das Energiesystem der Energiewende ist entsprechend als ein soziotechnisches Energiesystem zu verstehen.

Diese sogenannte „Energiewende 2.0“ ist technisch nicht ohne zahlreiche Produkte der Informationstechnologie, komplexe Steuerungs- und Verteilsysteme oder integrierte Kommunikations- und Überwachungsanwendungen realisierbar – auch nicht ohne Smart Grids. Offenbar gehören Digitalisierung und Energiewende zusammen. Eine intelligente, dezentrale, flexible Vernetzung der Energiesysteme mit den Produktions- und Distributionssystemen liegt auf der Hand.

In Deutschland hatte der Industriesektor im Jahr 2015 einen Anteil von rund 46% am gesamten Stromverbrauch – ein hinreichend großes Volumen beispielsweise für die Entwicklung von Kompensationskonzepten für die Volatilität erneuerbarer Energien. Die vernetzte Produktion und Distribution wird im deutschen Sprachraum als „Industrie 4.0“ diskutiert. Dieses Konzept sieht cyberphysische Produktionssysteme vor, deren Komponenten via Internet vernetzt sind und flexibel dezentral gesteuert werden. Eine Integration energiewirtschaftlicher Aspekte in der Steuerung der cyberphysischen Produktionssysteme kann zum Ausgleich der Volatilität von erneuerbaren Energien beitragen und folglich das Gelingen der Energiewende 2.0 unterstützen.

Die Überlegung, dass die Fahrweise energieintensiver industrieller Produktionsprozesse flexibilisiert und diese in das Lastmanagement eines weitgehend auf erneuerbaren Energien basierenden Energiesystems eingebunden werden, ist keineswegs abwegig und kann durch entsprechend ausgerichtete regulatorische Rahmenbedingungen ermöglicht werden.

Ansatz des Forschungs- und Konzeptionsprojekts EnerDigit ist es, einen Schritt von den umsetzungsorientierten Fragen zurück zu treten und die zuvor beschriebene Vernetzung und insbesondere Steuerung zwischen Industrie und Energiesystem aus der Perspektive von Dezentralität und Zentralität zu beleuchten. Dezentrale Produktion, kleine Betriebsgrößen durch neue emissionsarme Produktionsverfahren (z.B. additive Verfahren), neue urbane (und partizipative) Produktion und Co-Creation sind Hoffnungen, die sich an die digitale und energetische Transformation der Industrie knüpfen. Die Kehrseite dieser Dezentralität ist jedoch die oben skizzierte Notwendigkeit der Vernetzung und Steuerung der Produktion und des Verbrauchs von Energie.

Überträgt sich das gerne als Horrorszenario ausgemalte Bild von den fremdgesteuerten Leben, d.h. ferngesteuerten Haushaltsgeräten, Geschirrspülern, Waschmaschinen, zwangsweise auf industrielle Produktionsbetriebe? Wer bzw. wie wird Produktion und Konsumption gesteuert? Wer entscheidet bzw. nach welchen Algorithmen wird festgelegt, ob bzw. zu welchem Preis Produzenten Energie beziehen dürfen und wie intelligent sind diese Entscheidungen wirklich?

Vorgehen

EnerDigit fragt im ersten Analyseschritt danach, welche dezentralen und zentralen Elemente sich in der Vernetzung und Steuerung industrieller Produktionsprozesse durch Digitalisierung und Energiewende 2.0 möglicherweise abzeichnen werden (Arbeitspaket 1). Hierbei wird das eher dezentrale und koordinierte deutsche Wirtschaftssystem als Vergleichsschablone herangezogen. Formiert sich ein ähnlich dezentrales, aber koordiniertes Wirtschaftssystem durch Digitalisierung und Energiewende 2.0 oder zeichnet sich ein Systemwechsel ab?

In einem zweiten Analyseschritt sollen Branchen und Unternehmen identifiziert werden, die sich schon heute durch einen hohen Grad an Vernetzung und Steuerung vor dem Hintergrund der Digitalisierung und Energiewende 2.0 auszeichnen (Arbeitspaket 2). Die Suche mündet in der Identifikation konkreter Unternehmensbeispiele für Fallstudien.

Die Fallstudien dienen dazu, den konzeptionellen Blick auf Dezentralität und Zentralität empirisch zu untermauern (Arbeitspaket 3). Wie wirkt sich die Vernetzung auf das Unternehmen und seine Mitarbeiter aus? Dominieren Erfahrungen der Übertragung von Verantwortung u.ä. oder lassen sich Entfremdungstendenzen bzw. Erfahrungen der Fernsteuerung identifizieren?

Im letzten Arbeitsschritt sollen die gewonnenen Ergebnisse bewerten und nach Ansätzen einer intelligent gesteuerten und dennoch dezentralen wie partizipativen Transformation des Industriesektors und des Energiesektors suchen. Ein möglicher Ansatz wäre es, gezielt föderale Elemente in das integrierte Gesamtsystem aus vernetzter und intelligent gesteuerter Produktion, Distribution und Konsumption zu integrieren (Arbeitspaket 4).

Kooperation

EnerDigit ist ein gemeinsames Projekt des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie gGmbH, des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen und des Instituts Arbeit und Technik.

Fördermittelgeber

Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen

Logo des Ministeriums Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen

Weitere Projekte

Thema: Raum, Region, Stadt und Quartier