Urbane Produktion - zurück in die Stadt / ProUrban
Rahmen des Forschungsprojekts
Im Rahmen des Aufrufs „Transformation urbaner Räume“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) führte das IAT (Institut Arbeit und Technik) zusammen mit der Stadt Bochum (Stadtplanungsamt und Wirtschaftsentwicklung), der Hochschule Bochum und Die Urbanisten e. V. ein interdisziplinäres Verbundprojekt durch. Im Sinne der „Strategischen Forschungs- und Innovationsagenda“ der Bundesregierung erhob unser Forschungs- und Experimentiervorhaben den Anspruch, zivilgesellschaftliche Akteure als aktive Partner und Treiber von Transformationsprozessen einzubeziehen, Raumstrukturen nachhaltig zu verändern, ein Pionierprojekt für urbane Infrastrukturen zu sein, neue Werkzeuge und Verfahren für Planung und Wissensmanagement zu konzipieren sowie neue Geschäfts- bzw. Betreibermodelle zu erproben.
Hintergrund
Die seit den 1950er-Jahren extensiv betriebene funktionale Trennung und Zonierung der Städte in Wohn-, Handels-, Gewerbe- und Produktionsgebiete wird zunehmend in Frage gestellt und geht mit einer seit Jahren stattfindenden Renaissance der Stadt als Wohn- und Arbeitsstandort einher. Dieser Trend findet Ausdruck in einer Reihe von Begrifflichkeiten wie z. B. Stadt der kurzen Wege, urbanem Leben, urbaner Landwirtschaft oder „smart urban manufacturing“. Parallel dazu vollzieht sich bei vielen Menschen ein Wertewandel. Neben einem stärkeren Interesse an der aktiven Mitgestaltung des städtischen Lebens steigt der Wunsch nach lokalen, ökologisch korrekt oder nachhaltig produzierten Produkten. Durch den demografischen Wandel und die damit einhergehende Alterung der QuartiersbewohnerInnen ergibt sich zudem ein erhöhter Bedarf an wohnortnaher Versorgung, die in den letzten Jahren in etlichen Quartieren vollständig weggebrochen ist.
Durch das Aufeinandertreffen veränderter Lebensstile einerseits (auch hinsichtlich des Arbeits- und Wohnverhaltens) und neuer Anforderungen an die Nahversorgung sowie den Möglichkeiten der innerstädtischen Produktion und Bedarfe an Dienstleistungen andererseits, können sich Chancen insbesondere für die bisher von der insgesamt positiven Entwicklung des Strukturwandels abgehängte Quartiere ergeben. Zusätzlich entstehen durch technische Entwicklungen neue Produktionsmöglichkeiten wie bspw. additive Fertigungsverfahren (z. B. 3D-Druck), wodurch neue Wirtschaftszweige auftreten können. Leergefallene Gebäude und Brachflächen können einer produktiven Nutzung zugeführt, ungedeckte Bedarfe bedient und neue lokale Wertschöpfungsketten in Gang gesetzt werden. Gleichzeitig können neue Arbeitsplätze im Quartier entstehen, oder die Arbeitssituation kann werthaltiger werden, indem an bestehende Ökonomien angeknüpft wird.
Um Urbane Produktion durch BürgerInnen zu ermöglichen, werden jedoch mitunter neue Finanzierungs- und Betreibermodelle benötigt. Daneben ist anzunehmen, dass innerstädtische Produktionsstätten nicht immer mit dem derzeit gültigen Planungsrecht vereinbar sind, da dieses zu einer funktionalen Zonierung tendiert und auch deshalb Nutzungskonflikte entstehen können.
Ziel
Das Verbundvorhaben setzte an den beschriebenen Trends und Herausforderungen an, um diese in produktiver Weise miteinander zu verknüpfen, planungsrechtliche Rahmenbedingungen aufzuarbeiten sowie Finanzierungs- und Betreibermodelle auf ihre Eignung für Urbane Produktion zu überprüfen. Ferner wurden die Rolle der Immobilien- bzw. Wohnungswirtschaft mit Blick auf die Bereitstellung von geeigneten Räumen und ihrer Funktion als ein Akteur in der Sicherung der Nahversorgung sowie die Möglichkeiten zur Einbindung der Kommune beleuchtet. Im Ergebnis wurden ökonomische, räumliche, rechtliche, technische und soziale Kontextfaktoren und deren mögliche Wechselwirkungen beschrieben, um in der Experimentierphase diese Erkenntnisse für einen Test in zwei Reallaboren in Bochum zu nutzen, auf Praxistauglichkeit hin zu prüfen und anzupassen.
Vorgehen
Das interdisziplinäre Verbundvorhaben teilte sich in eine analytisch-konzeptionelle und eine experimentelle Phase, welche teilweise parallel liefen und aufeinander aufbauten. Die analytisch-konzeptionelle Phase gliederte sich grob in folgende Arbeitspakete:
- Erstens wurden mithilfe einer Literatur- und Internetrecherche internationale Fallbeispiele analysiert und dokumentiert. Dabei ging es um die Fragen, wie Urbane Produktion funktioniert und welche ökonomischen, sozialen und ökologischen Wirkungen erwartet werden können.
- Zweitens wurde eine GIS-gestützte Quartierstypologie konzeptioniert, die auf Indikatoren zu den Themenfeldern Problemlagen, Produktion, Nahversorgung, vorhandene Energiequellen und Flächen mit ihren planungsrechtlichen Festlegungen und Wohnen fokussiert.
- Drittens wurden aufbauend auf einer Literaturrecherche und Experteninterviews die Rahmenbedingungen Urbaner Produktion aufgearbeitet und Finanzierungs- und Betreibermodelle auf ihre Eignung für Urbane Produktion überprüft. Ferner wurde die Rolle der Immobilien- bzw. Wohnungswirtschaft und der Kommune beleuchtet.
- Viertens wurde mithilfe von Fallstudien analysiert, wie Nutzungskonflikte überwunden, langfristiges Engagement etabliert und die Zivilgesellschaft einbezogen werden kann. Auch die planungsrechtlichen Grundlagen spielten dabei eine Rolle.
Im Fokus der experimentellen Phase standen Reallabore in zwei Bochumer Stadtteilen Werne/Langendreer-Alter Bahnhof und Wattenscheid, welche eine beispielhafte Umsetzung und Implementierung von Urbaner Produktion vorsahen. Die Erkenntnisse aus der analytisch-konzeptionellen Phase wurden dabei auf ihre Praxistauglichkeit geprüft, um sie bei Bedarf anzupassen. Mithilfe von Beteiligungs- und Aktivierungsprozessen der Bürgerschaft wählten wir geeignete Orte und Formen für Urbane Produktion, um diese zu untersuchen und langfristige Strukturen vor Ort zu etablieren.
Ergebnisse
Über die Projektlaufzeit hinweg konnte kontextübergreifendes Wissen über Hürden und Möglichkeiten zur Etablierung von Produktion in urbanen Räumen zusammengetragen werden. Schlüssel-Akteure sind dabei Stadtverwaltung und -politik, Wirtschaftsförderung, EigentümerInnen sowie Unternehmen und GründerInnen. Als Hilfestellung für diese Akteure wurden die Erkenntnisse in einen Maßnahmenkatalog für Urbane Produktion übersetzt, der Ende 2019 als Handbuch veröffentlicht und frei zugänglich sein wird.
Im Reallabor Werne/Langendreer-Alter Bahnhof veranstaltete ProUrban ein mehrwöchiges Festival der Urbanen Produktion in der entwidmeten Lutherkirche. Aus diesem Impuls heraus gründete sich der Verein LutherLAB e.V., in dem sich BürgerInnen für die weitere Nutzung der Kirche engagieren und den Raum für gemeinsame Kreativität, als Treffpunkt und Veranstaltungsraum nutzen. Mehr Informationen unter https://www.lutherlab.de/
In Wattenscheid wurden über drei Monate hinweg regemäßig Workshops und Diskussionsrunden zum Thema Urbane Produktion in einem leerstehenden Ladenlokal angeboten. In Kooperation mit der bürgerschaftlichen Initiative Mittendrin und anderen lokalen Akteuren wird auch hier an einer Aufwertung der Hochstraße in der Manier des „Selbermachens“ gearbeitet. Für mehr Informationen zu unserer Arbeit in Wattenscheid: https://watcraft.de/
Während der Projektmonate in Wattenscheid sind in dem Ladenlokal ebenfalls Videos von der Diskussionsveranstaltung „Produzieren in der Stadt – UnternehmerInnen erzählen“ entstanden, die auf unserem Youtube-Kanal UrbaneProduktion.Ruhr eingesehen werden können: https://www.youtube.com/channel/UCrUJnZplg7l7dJKbDLORJnQ/featured
Weitere Informationen zum Projekt und zu den Reallaboren unter:
https://urbaneproduktion.ruhr/
https://www.facebook.com/UrbaneProduktion/
https://www.instagram.com/urbaneproduktion/
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https://www.instagram.com/lutherlab/