Von Profitgier, Moral und Zukunftschancen
Schüler als Experten diskutierten mit Führungskräften zur Finanzkrise – Veranstaltung am Institut Arbeit und Technik
Pressemitteilung vom 16.09.2009
Redaktion:
83
Die Finanzmarktkrise, ihre Folgen und die Frage, ob und wie man künftig derartige Entwicklungen verhindern kann, standen im Mittelpunkt der Veranstaltung des Instituts Arbeit und Technik (IAT) zum Jahrestag der Lehman-Bank-Pleite am Dienstag, 15. September in Gelsenkirchen. Diskutiert wurde aber mit vertauschten Rollen: Als Experten waren 30 Schülerinnen und Schüler im Alter von 14 bis 19 Jahren geladen, die 20 Führungskräften aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik ihr Verständnis der Krise und Wünsche zur Krisenbewältigung klarmachten.
Direkt selbst betroffen von der Krise sahen sich die Jugendlichen weniger, aber „man macht sich ja doch Sorgen, was später sein wird. Wer soll die Riesenschulden bezahlen?“ Von den Schwierigkeiten, Ausbildungsstellen und Praktika zu finden, konnten vor allem die Hauptschüler erzählen, und die Erfahrung, dass der „Onkel bei Opel Kurzarbeit fährt, zwei Tage die Woche keine Arbeit und kein Geld hat und die Familie nicht in Urlaub fahren kann“, hat nicht nur einer gemacht. „Die Stimmung ist mies – die Leute haben Angst vor Konsum statt Mut zur Zukunft!“
Gegen Profitgier und Shareholder Value appellierten die Jugendlichen an „Moral und Menschlichkeit“ in der Wirtschaft, wir „brauchen langfristiges Denken und Nachhaltigkeit“. Auch die Politik müsse hier ihrer Verantwortung gerecht werden, zu regulieren und zu kontrollieren, „denn wenn die Moral nicht ausreicht, muss der Staat Leitplanken setzen!“ Die Forderung nach Sicherheit und Vertrauen spielte in der Diskussion eine große Rolle und entsprechend attestierten die anwesenden Führungskräfte den Jugendlichen einen hohen kritischen und moralischen Anspruch – auch an sich selbst. „Hoffentlich gelingt es Ihnen, diese Einstellung zu halten!“
„Privat vor Staat ist out“, vielmehr brauche man Anreize, „dass Moral sich wieder lohnt“. Gefordert wurden Spielregeln, „die für alle gelten in allen Ländern!“, aber auch eine bessere Ausbildung im Bankwesen. So solle es nicht vorkommen, dass eine einzige Person für eine Überweisung von über 300 Millionen Euro – wie im Falle der IKB-Überweisung an Lehmann Brothers – verantwortlich ist. „Wenn ein einfacher Arbeiter in einem Betrieb einen Fehler macht, wird er ja auch sofort rausgeschmissen, da muss einem bei einer so großen Verantwortung doch jemand über die Schulter schauen“. Ob man Managergehälter deckeln sollte, war den Schülern nicht ganz so wichtig: „Von einem normalen Gehalt muss man leben und die Familie ernähren können, da kann dann ein Extra draufkommen für gute Arbeit. Es muss aber auch Sanktionen geben bei schlechter Arbeit!“
Hat die Krise Einfluss auf Zukunftspläne und Karriereentscheidungen der Jugendlichen? Sie wissen, dass eine gute Schul- und Berufsausbildung wichtig ist: „Du musst Abi machen, sonst hast du keine Chance“. Bildung ist die beste Versicherung gegen Arbeitslosigkeit. Außerdem fanden die Schüler das Bildungs-/ Schulsystem ungerecht. „Ich finde es falsch, Schüler bereits so früh abzustempeln. In der vierten Klasse kann man das doch noch gar nicht richtig entscheiden.“ Es werde zu früh aussortiert. Statt dessen sollte man länger gemeinsam lernen und sich früh berufsspezifisch spezialisieren können, in die Betriebe gehen können, um praktische Erfahrungen zu sammeln. Das System muss auch durchlässiger werden, damit man auch als Facharbeiter später studieren kann und eine zweite Chance bekommt.
Die Führungskräfte sahen sich „starken und kundigen Experten“ gegenüber und lobten den differenzierten und sachlichen Umgang mit dem Thema. „Wir sind überrascht, wie gut Sie informiert sind!“ Daraus folge für die Älteren auch „eine gewisse Beruhigung“ über die heutige Jugend, ihr Verantwortungsbewusstsein und ihre Leistungsbereitschaft. „Schließlich müssen Sie ja auch unsere Renten erwirtschaften“.
Die ungewöhnliche Diskussionsform, bei der erwachsene Verantwortungsträger jugendlichen Experten zuhören und einen etwas anderen Blick auf Wirtschaft und Gesellschaft erfahren, könnte bald Nachahmer finden – für Mitarbeiterschulungen in der Hauptverwaltung eines großen Bankhauses werden Gespräche mit Juniorexperten bereits in Erwägung gezogen: „Die Diskussion hat sich gelohnt!“
Text: Claudia Braczko, Dominic Pakull
Angeregte Diskussion: Führungskräfte fragen - Schüler antworten
Abschlussrunde: Was haben die Führungskräfte gelernt? Fotos: IAT/Sprick
Für weitere Fragen stehen Ihnen zur Verfügung:
Stefan Gärtner(Raumkapital)
Josef Hilbert(Gesundheitswirtschaft & Lebensqualität, Gemeinsame Versorgung im Ruhrgebiet)
Franz Lehner(CultNature)