Varietät im Bankenwesen? Ein Vergleich der Unternehmensfinanzierung regionalorientierter Banken und Großbanken in Deutschland / VoB
Ziel und Aufgabenstellung
Die Varietät im Bankenwesen ist Gegenstand jüngerer Forschung geworden (z.B. Ayadi et al., 2009, 2010; Hardie und Howarth, 2011; Haldane und May, 2011; Gärtner und Flögel, 2012). Es lassen sich unterschiedliche Bankentypen und Kreditvergabemethoden bestimmen, die mit Vor- und Nachteilen verbunden sind (z.B. Udell, 2008). Das deutsche Bankensystem zeichnet sich durch eine hohe Vielfalt an Banken aus, wobei im internationalen Vergleich die Anzahl und Bedeutung regionaler Banken (insbesondere Sparkassen und Kreditgenossenschaften) auffällig sind. Deren Kreditvergabe in geringerer Distanz zu den Kunden wird im Vergleich zu Großbanken mit einen verbesserten Zugang zu sogenannten weichen Informationen verbunden und ermöglicht so eine genauere Risikobewertung, was folglich die Kreditrationierung an kleine und mittlere Unternehmen (KMU) reduzieren sollte (Klagge, 1995; Pollard, 2003; Berger et al., 2005 Alessandrini et al., 2009; Gärtner, 2009b; Zademach, 2011; Gärtner and Flögel, 2014). Den Großbanken werden dahingegen Effizienzvorteile und Spezialwissen attestiert (z.B. Udell 2008). Vor dem Hintergrund der Standardisierung (insbesondere durch den universalen Einsatz von Ratingsystemen zur Risikobewertung) und der vereinheitlichenden Bankenregulierung ist jedoch unklar, inwieweit sich regionale Banken noch von den Großbanken unterscheiden. Daher verfolgt das Promotionsprojekt folgende Fragestellungen:
Worin unterscheidet sich die Unternehmenskreditvergabe regionaler Banken und Großbanken in der Praxis? Welche Auswirkungen haben die Kreditvergabepraktiken auf die Finanzierung kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU)?
Vorgehen
Zur Beantwortung der Fragen wurde die Kreditvergabe von regionalen Banken und Großbanken an KMU verglichen. Der Kern des eingesetzten Methodenmix bestand aus einen ethnographischen Ansatz, für den eine Sparkasse im Rahmen eines zweimonatigen Vollzeitpraktikum beobachtet wurde und mit einer Großbank verglichen wurde. Vierzig Experteninterviews mit Bankmitarbeitern und anderen Experten, sowie die Sekundäranalyse quantitativer Daten rundeten den Vergleich ab.
Die Promotion wurde durch Prof. Dr. Hans-Martin Zademach (Professor für Wirtschaftsgeographie an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt) betreut. Am Institut Arbeit und Technik übernahm Dr. Stefan Gärtner die Betreuung. Ein Promotionsstipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes ermöglichte die Forschung.
Kernergebnisse
Die durch den ethnographischen Ansatz erhaltenen neuen Einblicke in die Entscheidungsprozesse von Banken haben überraschenderweise gezeigt, dass die untersuchte Großbank in etwa 50% der Kreditentscheidungen in geringere Distanz zu (kleinen) KMU entschied, als dies in der beobachteten Sparkasse der Fall gewesen wäre. Der Grund hierfür ist die erhebliche Entscheidungskompetenz, welche die Großbank ihren Kundenbetreuern in den Filialen gewährt, wenn die KMU gute Ratingnoten aufweisen. Dennoch zeigen die Beobachtungen realer Kreditanfragen von Kunden in finanziellen Schieflagen, dass die Sparkasse weiche Informationen zuverlässig berücksichtigt, wenn diese die Kreditentscheidungen am stärksten beeinflussen, d.h. wenn die Ratingnote der KMU kritisch ist. Genau in diesen Fällen erhöht sich die Distanz in der Großbank massiv, da sie ihren Kundenbetreuern bei kritischen Ratingnoten die Entscheidungsbefugnis entzieht. Entsprechend kann geschlussfolgert werden, dass Sparkassen genau dann in geringerer Distanz zu KMU entscheiden, wenn es drauf ankommt, d.h., wenn KMU also in finanziellen Schieflagen geraten sind und daher kritische Ratingergebnisse aufweisen. Die Ergebnisse aus den untersuchten anderen Banken suggerieren die Allgemeingültigkeit dieser Schlussfolgerung, es bedarf jedoch weiterer Forschung.