30 Jahre IAT mitten im Ruhrgebiet
Experten des Strukturwandels - Impulsgeber für die Praxis
Pressemitteilung vom 01.04.2019
Redaktion:
Marco Baron

Ideen für die Zukunft des Ruhrgebiets gibt es viele, aber wer setzt sie wie um? Wie schnell geht das und wer kann das bezahlen? Um diese Kernfragen drehte sich jetzt das Jubiläumssymposium des Instituts Arbeit und Technik (IAT/ Westfälische Hochschule). Im Wissenschaftspark Gelsenkirchen feierte das IAT mit rund 150 Gästen aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung, langjährigen Wegbegleitern, Freunden und Nachbarn sein 30jähriges Bestehen.

Seit Ende der 1980er Jahre erforscht das Institut Probleme und Chancen des Strukturwandels, gibt Leitorientierung und Impulse für die Praxis. „30 Jahre haben wir das gemacht – aber der Wandel ist nicht zu Ende, da ist noch viel Luft nach oben“, räumte IAT-Direktor Prof. Dr. Josef Hilbert in seiner Begrüßung ein.
Für die nächsten 30 Jahre wünsche sich das Institut „wohlwollenden Ansporn“, „wir gucken zum Jubiläum nach vorn – auf das Ruhrgebiet, mit besonderem Augenmerk auf Emscher-Lippe“.
„Die ökonomische und ökologische Erneuerung hier bleibt Daueraufgabe“, stimmte Gelsenkirchens Oberbürgermeister Frank Baranowski zu. Aber das Ruhrgebiet habe auch besondere Qualitäten und Chancen als Laboratorium dieses Wandels, in dem Neues – wie z.B. in Gelsenkirchen die Projekte für frühe Bildung oder die vielbeachtete Talentförderung – ausprobiert und umgesetzt werden. „Und das IAT mit seinen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mitten im Ruhrgebiet ist Experte dieses Strukturwandels“ für Forschung, Umsetzung und Transfer in andere Regionen mit ähnlichen Problemen. Für die anstehenden Aufgaben brauche das Ruhrgebiet allerdings mehr Eigensteuerung und Akteure, die mitziehen.

Der Präsident der Westfälischen Hochschule, Prof. Dr. Bernd Kriegesmann, stiftete zum Geburtstag „gute Tipps“ aus dem Innovationsmanagement: „Eigene Orientierung schaffen, nicht dem Mainstream folgen!“ Es sei allerdings anstrengend, gegen den Strom zu schwimmen. Das IAT könne aber damit beitragen zu „echter Orientierung für das Ruhrgebiet, sich auf Basis der eigenen Potenziale fortzuentwickeln.“ Schwieriger werde dann doch die Umsetzung: „Innovation ist harte Arbeit“. Umsetzungsideen müssten entwickelt werden, auch wenn es unbequem wird – wie etwa beim Öffentlichen Personennahverkehr!


Als Agent Provokateur outete sich Prof. Dr. Uli Paetzel, Chef der Emschergenossenschaft: „Der Krisendiskurs im Ruhrgebiet hat sich erschöpft, das mag keiner mehr hören. Der Anspruch kann nicht Jammern sein!“ Wegen seiner polyzentrischen Organisation habe das Ruhrgebiet ein Governance-Problem und vor allem deshalb keine einheitlichen Lösungen für die Infrastrukturprobleme der Region. Die Ruhr-Konferenz suche nach neuen Ideen, habe aber noch keine Wegweisung, wo es hingehen soll! Die Leitthemen der regionalen Entwicklung liegen allerdings auf dem Tisch: Daseinsvorsorge für Bildung und Kultur, Mobilität, Wohnen, Klimaschutz. Um jeden dieser Megatrends könne sich jede der 53 Städte alleine kümmern – oder aber sich mit anderen etwa wie in eine Genossenschaft zusammenschließen, die knappen Finanzmittel zusammenwerfen und „grüne Infrastruktur“, „Smart City“ u.v.a. zusammen zu planen und umsetzen. „Das Warten auf irgendeine Lösung aus Düsseldorf oder Berlin war, ist und bleibt eine Illusion – aber es gibt diese anderen Möglichkeiten, Schleichwege, die wir ausprobieren sollten!“
Karola Geiß-Netthöfel, Chefin des Regionalverbands Ruhr - RVR, arbeitet heraus , dass es durchaus schon erfolgreiche Kooperationen zwischen den Ruhr-Kommunen gibt, vor allem auch im Planungsbereich wie beim neuen Regionalplan Ruhr, „zarte Pflänzchen“ auch in der Kultur oder für die Umwelt. „Die Mobilität im Ruhrgebiet ist ein Problem“, gestand sie zu, „aber wir legen den Finger in die Wunde und arbeiten an einem regionalen Mobilitätsentwicklungskonzept, haben auch schon Ideen, die allerdings kosten.“ „Die Erkenntnis, dass wir mehr Kooperation brauchen, ist nicht neu. Aber das kann keine Ruhrstadt oder Business-Metropole Ruhr sein“ konstatierte Dr. Stefan Gärtner, Forschungsdirektor „Raumkapital“ am IAT. Prof. Christa Reicher (RWTH Aachen) verwies darauf, dass die polyzentrische Struktur des Ruhrgebiets nicht nur Nachteil sei, sondern vielmehr „ein wahnsinniges Potenzial! Andere große Städte suchen das!“ Nötig seien ein neues Raumbild und jemand, der die „Leadership“ übernimmt. „Aber da fürchten die Kommunen wieder um ihre Gestaltungshoheit.“ Einig war sich die Runde mit der Forderung: „Es muss anders werden!“ Wenn Einsicht nicht helfe, auf kommunaler Ebene strukturelle Lösungen zu finden, sei öffentlicher Druck nötig. „Wir alle hier, die sich für das Ruhrgebiet verantwortlich fühlen, müssen den Druck machen!“ Olivier Kruschinski, Stiftung Schalker Markt und Macher #GE 401 brachte es auf den Punkt: „Machen statt meckern!“


Was aus den heutigen Ideen in 30 Jahren geworden sein wird, erforschte Prof. Dr. Franz Lehner, langjähriger Präsident des IAT, im „Zeitreise-Gespräch“ mit den drei IAT-Nachwuchswissenschaftlerinnen Maria, Denise und Sophia. Zurückblickend aus der Zukunft 2050 berichteten sie, was alles passiert ist, wie sich technischer Fortschritt, Digitalisierung, künstliche Intelligenz auf Leben und Gesundheit, Arbeit und Raum ausgewirkt haben (könnten). Ihr Fazit eindeutig positiv, aber „Bedauern, dass in der Zeit um 2019 alles so lange gedauert hat, bis endlich angepackt wurde!“

Innovationspartisanen auf Zukunftsattacke

In der Abschlussdiskussion begab sich IAT-Chef Prof. Dr. Josef Hilbert mit dem Mediziner Prof. Dr. Dietrich W. Grönemeyer, Sprecher des Wissenschaftsforums Ruhr, und Mocki Diller vom Arbeitsstab der Ruhr-Konferenz „auf Zukunftsattacke“. „Wir müssen jetzt selber loslegen, nicht warten, dass anderswo entschieden wird über einen Masterplan in 15 Jahren!“ so Diller. Die Agenda dafür steht: die Aufgaben der Daseinsvorsorge – gesund leben, produzieren, wohnen im Ruhrgebiet, das soziale Süd- und Nordgefälle bewältigen, Abwanderung der Jugend stoppen. Wir haben der Welt viel zu bieten – z.B. das Know how für Solar-Autos, High-Tech-Entwicklungen, die hier erfunden, getestet und vermarktet werden können, einen riesigen Absatzmarkt. Die vielen Potenziale der Region müssen durch bessere Vernetzung und Zusammenarbeit gehoben werden. „Wir wissen, wie wir handeln wollen, müssen aber dafür einen Koordinator finden“, so Grönemeyer. Die Idee: „Wir machen eine Plattform der Innovationspartisanen im Ruhrgebiet“ - ein Vorschlag von Hilbert, dem die Diskussionspartner und das Publikum gerne zustimmten.