Wanderfalken, Kirchtürme und die Energiewende im Ruhrgebiet
Fachtagung am Institut Arbeit und Technik diskutierte Chancen und Risiken für den Strukturwandel
Pressemitteilung vom 27.11.2013
Redaktion:
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Die Energiewende wird konkret vor Ort – Städte und Regionen spielen auf dem Weg zu erneuerbaren Energien die zentrale Rolle. Ob und wie die Energiewende in NRW zum Motor eines erfolgreichen Strukturwandels werden kann, welche Probleme und Risiken bestehen, diskutierten Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Kommunen und Wissenschaft gestern (Montag, 25. November 2013) auf einer Fachtagung am Institut Arbeit und Technik (IAT / Westfälische Hochschule) in Gelsenkirchen.
Die Fraktionsvorsitzenden der Düsseldorfer Regierungskoalition ließen konstruktive Kontroversen beiseite und zeigten sich einmütig: „Mit 80 Prozent CO2-Reduktion bis 2050 und einem Drittel Anteil regenerativer Energien haben wir uns ehrgeizige Ziele gesetzt“, so Norbert Römer (SPD). „Aber es geht uns zu langsam. Den Wechsel wollen wir hinkriegen, gleichzeitig die Tradition ehren und niemand vor den Kopf stoßen“, zeigte Reiner Priggen (Bündnis 90/ Die Grünen) den Konflikt auf. Den neuen Weg wolle man zusammen mit der Wirtschaft gehen, „aber nach vorne!“ Auch für die Energiewende werde man zunächst noch fossile Energieträger brauchen. Das müsse keine sechs Milliarden kosten, „je billiger es geht, desto besser“.
„Bei aller Ungeduld – der Strukturwandel dauert immer Jahrzehnte“, mahnte Prof. Dr. Franz Lehner, Leiter des Projektes „CultNature – Bio-Montan-Park NRW“, das vom IAT in Zusammenarbeit mit RAG Montan Immobilien und NRWUrban sowie mit Kipar Landschaftsarchitekten durchgeführt wird. Das Projekt verfolgt den Ansatz, die vielen Industriebrachen z.B. im Ruhrgebiet zu Parklandschaften und zu attraktiven Stadträumen zu entwickeln, die zur Herstellung erneuerbarer Energien genutzt werden können. „Mit den Flächen im Ruhrgebiet ist lange falsch umgegangen worden“ kritisiert Lehner. Die urbane Erzeugung alternativer Energien wie Biomasse soll helfen, Flächen aufzuwerten und zu finanzieren, negative Stadtentwicklung korrigieren und Abwärtsspiralen stoppen“.
Im Rahmen von CultNature betreibt RAG-Montan-Immobilien bereits an mehreren Standorten Stadtquartiersentwicklung auf Altflächen und sucht nach neuen Energiequellen – „vom Windrad bis zur Wärmenutzung von Grubenwasser“, schildert Prof. Dr. Hans-Peter Noll, Vorsitzender der Geschäftsführung. Die Probleme liegen anders: „Die Regelungsdichte ist eine Mammutaufgabe und ausreichend Akzeptanz für ein Windrad auf einer Halde zu organisieren, braucht angesichts der Populationsdichte von Wanderfalken und Fledermäusen ganz neue Formen der Diskussion und Partizipation“. Landschaftsarchitekt Dr. Andreas Kipar sieht beim Umgang mit Freiflächen vor allem die positiven Argumente: „Freiraum schafft Stadtraum – Landschaft ist Infrastruktur, in der neue urbane Bezugssysteme entstehen können, und es muss schön sein!“ Dr. Michael Krüger-Charlé verwies auf die Möglichkeiten der Kommunen, den Umgang mit Freiflächen als strategische Stellschraube zu nutzen. „Angesichts der Nutzungskonkurrenzen müssen sich die Städte Gedanken machen, in welcher Richtung und zu welchem Zweck sie Flächen entwickeln wollen.“
Im „kommunalen Dialog zur nachhaltigen Stadtentwicklung“ mit Vertretern der am Projekt beteiligten Pilotkommunen zeigten sich schließlich sehr unterschiedliche Möglichkeiten und Bewertungen des Umgangs mit Altflächen. Ibbenbüren – „die letzten, die bei der Kohle das Licht ausmachen“ – hat wenig Probleme, die ländliche Region ist für Windenergie geeignet und will in 20 Jahren energieautark sein, wie Uwe Manteuffel berichtete. In Hamm, so Planungsamtsleiter Heinz-Martin Muhle, wird der CultNature-Ansatz genutzt, um alte Bergbauflächen neu in Wert zu setzen. Burkhard Drescher schilderte, wie im Pilotprojekt Innovation City in Bottrop die „Energiewende von unten“ praktiziert wird. „Biomasse löst nicht die Probleme der Energiewende, kann aber mit Grünentwicklung als weicher Standortfaktor zur nachhaltigen Stadtentwicklung beitragen“, meint Dr. Thomas Bernhard vom Gelsenkirchener Umweltreferat. Für Manfred Gehrke, Wirtschaftsförderung Marl, ist CultNature ein gutes Modell, um Flächen temporär zu nutzen, dann aber müssten Wirtschaft und Gewerbe Vorrang haben, um dringend benötigte Arbeitsplätze zu schaffen. Nach Einschätzung von Martin Tönnies, Bereichsleiter Planung des Regionalverbands Ruhr, mangelt es aber weniger an Flächen im Ruhrgebiet, vielmehr sei mehr kommunale Zusammenarbeit nötig, um gemeinsame Projekte zu realisieren, „wir müssen wegkommen vom Kirchturmdenken!“ Das Ruhrgebiet werde nie zum Windenergiestandort Deutschlands, aber Photovoltaik auf den Dachflächen könnte einmal fünf Millionen Einwohner in der Region versorgen.