Widersprüchliche Tendenzen beim Umgang mit digitalen Publikationsformen: Bestandsaufnahme und Konsequenzen / WUD

Ziel und Aufgabenstellung

Wie die heftige Diskussion um den Heidelberger Appell gezeigt hat, finden innovative Publikationsformen längst keine uneingeschränkte Akzeptanz, sondern sie stoßen teilweise auf erhebliche Widerstände. Einerseits prägt das Internet mit seinen Recherche-Möglichkeiten, freiem Zugang zu wissenschaftlichen Forschungsergebnissen und kollaborativen Arbeitsformen jeden wissenschaftlichen Arbeitsplatz; andererseits muss man mit erheblichen Vorbehalten rechnen, wenn man Wissenschaftler/innen für die verschiedenen Formen des Open-Access-Publizierens gewinnen will.

Wie eine eigene Untersuchung gezeigt hat, lassen sich die bestehenden Vorbehalte nicht durch technische Maßnahmen abbauen. Ein Problem stellen Informationsdefizite auf verschiedenen Ebenen dar: Unkenntnis existierender Open-Access-Zeitschriften, Rechtsunsicherheiten, Unklarheiten bei Verfahrensfragen etc. Haupthindernis ist aber das System der Wissenschaft selbst mit seinen etablierten Bewertungsstrukturen, seinem Beharren auf Begutachtungsverfahren; dabei spielt in den Naturwissenschaften, der Technik und der Medizin der Impact Factor eine besondere Rolle. Das Wissenschaftssystem, dessen Ziel in der Generierung von neuem Wissen besteht, erweist sich in seiner internen Struktur und seinen Bewertungsmaßstäben als überraschend konservativ.

Sowohl der Impact Factor als auch das Begutachtungsverfahren werden inzwischen scharf kritisiert, behindern aber weiterhin die Durchsetzung des freien Zugangs zum Wissen. Nachgewiesen wird dieses Dilemma unter anderem durch die Ergebnisse der eigenen Befragung von Open-Access-Autor/inn/en und eine Studie aus dem Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, die auf Interviews an der Freien Universität Berlin basiert.

Verschiedene Initiativen versuchen, Alternativen zu den überkommenen Evaluationsmethoden zu bieten, zum Beispiel öffentliche Begutachtungsverfahren bei Open-Access-Zeitschriften, bei denen schon die Erstfassung im Internet öffentlich zugänglich gemacht wird; und es laufen Projekte, die Abrufzahlen und Zitationen von digitalen Publikationen jenseits der herkömmlichen Impact-Messung belegen. Trotzdem stellt die Akzeptanz von Open-Access-Publikationen noch nicht recht zufrieden.

Vorgehen

Eine Reihe von Untersuchungen belegen, dass Open-Access-Zeitschriften nicht seltener Begutachtungsverfahren praktizieren als herkömmlich vertriebene. Es wurde eine Bestandsaufnahme erstellt, die die vorliegenden Erkenntnisse zur Qualität von Open-Access-Zeitschriften bündelt.

Die Ergebnisse wurden auf den Open-Access-Tagen in Konstanz am 7./8.10.2009 präsentiert und im Rahmen eines Workshops auf der 12. Tagung der Deutschen Sektion der Internationalen Gesellschaft für Wissensorganisation Wissen – Wissenschaft – Organisation, die vom 19.-21.10.2009 in Bonn stattfand, mit der Fachöffentlichkeit diskutiert. Ziel war es, das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass neue Publikationsformen und Qualität keinen Widerspruch darstellen.

Wie eine eigene Untersuchung ergeben hat, stellt sich die Situation in Brasilien völlig anders dar als in Deutschland: Dort haben fast alle Open-Access-Zeitschriften einen Impact Factor, während dies in Deutschland nur bei einem geringen Teil der Fall ist. Durch bibliometrische Analysen und eine Literaturstudie wurde untersucht, inwiefern sich Situation in den beiden Ländern unterscheidet und ob möglicherweise daraus Ansätze für eine Förderung von Open Access in Deutschland abzuleiten sind.

Beide Ansätze mündeten in Überlegungen ein, wie der scheinbare Widerspruch zwischen den Qualitätsansprüchen des Wissenschaftssystems und dem freien Zugang zum Wissen aufgelöst werden kann. Neben Literaturstudien wurde versucht, Partner für ein größer angelegtes Projekt zu finden, das diese Zielsetzung mit praktischen Maßnahmen verfolgt.