Innovationsstrategien am Bau im internationalen Vergleich / INTERBAU
Ziel und Aufgabenstellung
Das Forschungsprojekt hatte zum Ziel, die Innovationstätigkeit der Bauwirtschaft in europäischen Ländern vergleichend zu untersuchen. Auf Basis des Vergleichs der unterschiedlichen Entwicklungstrends und Innovationsstrategien in der europäischen Bauwirtschaft sollten sowohl die Wertschöpfungskette Bau in Deutschland systematisch positioniert als auch Benchmarks im Sinne von Beispielen guter Praxis herausgearbeitet und offene Fragen dargestellt werden.
Die Umsetzung des Projekts erfolgte in drei Arbeitsphasen. Basierend auf der Auswertung quantitativer Daten und thematischer Studien wurde in der ersten Phase die Bauwirtschaft in 16 europäischen Ländern verglichen (Deutschland, Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Italien, Großbritannien, Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Spanien, Schweden, Schweiz und Ungarn). Mit Hilfe dieser Grundlagen erfolgte eine erste Verortung der Stärken und Schwächen der deutschen Bauwirtschaft sowie die Auswahl der sechs vertieft zu untersuchenden Länder: Belgien, Dänemark, Finnland, Großbritannien, Österreich und Spanien. Ergänzend wurden Fallstudien in Italien, Polen und der Schweiz durchgeführt.
Im Mittelpunkt der zweiten Arbeitsphase standen die Untersuchungen in den sechs ausgewählten Ländern. Hierzu wurden in jedem Land durch Leitfragen strukturierte Expertengespräche geführt. Die vergleichende Betrachtung der Gespräche, um weitere Recherchen ergänzt, führte zur Herausarbeitung von Themen und Beispielen, die als Benchmark für die deutsche Bauwirtschaft geeignet erschienen. Diese wurden in der dritten Arbeitsphase im Rahmen eines Expertenworkshops vorgestellt und die sich daraus ergebenden Anregungen für die deutsche Bauwirtschaft diskutiert. Ergänzend wurden die Ergebnisse mit zwei weiteren Experten für die Bauwirtschaft in Deutschland erörtert.
Vorgehen
Mit dem Anspruch eines europaweiten, systematischen quantitativen Vergleichs in Verbindung mit einem Benchmarking wurde für die Bauwirtschaft Neuland betreten. Vergleichbares gilt für die Frage von Innovationen in einer – bei oberflächlicher Betrachtung – als innovationsschwach angesehenen Branche. Vor diesem Hintergrund weist die Studie einen explorativen Charakter auf. Adressaten sind vor allem die Multiplikatoren aus Verbänden, Wissenschafts-, Transfer- und Bildungseinrichtungen oder die für die Bauwirtschaft zuständige Administration. Konkrete Empfehlungen für die Unternehmen der Bauwirtschaft bedürfen einer zusätzlich tiefergehenden und thematisch fokussierten Untersuchung.
Ergebnisse
Positionierung der Wertschöpfungskette Bau in Deutschland
Als Ergebnis des ersten Arbeitsphase ließen sich folgende Stärken für die deutsche Bauwirtschaft benennen: Bezogen auf die Wertschöpfungskette weist Deutschland einen überdurchschnittlichen Anteil industrieller Zulieferer auf. Bezogen auf die, an den Patenten gemessene, technische Innovationstätigkeit nimmt Deutschland eine deutliche Spitzenposition in Europa ein: Mehr als jedes fünfte aus aller Welt beim europäischen Patentamt angemeldete baurelevante Patent stammt im Untersuchungszeitraum aus Deutschland. Bei den auf den Bauprozess bezogenen Effizienzindikatoren liegt Deutschland in der Spitzengruppe. Es finden sich verschiedene Erfahrungen mit Clustern in der Bauwirtschaft, die aber bisher nicht systematisch ausgewertet wurden. Die für die Bauwirtschaft relevante Forschungslandschaft ist breit gefächert. Bei der Förderung energieeffizienten Bauens nimmt Deutschland eine Spitzenstellung ein.
Dem standen folgende Schwächen gegenüber: Bezogen auf die für die Diffusion wichtigen Institutionen sind die Netzwerke in Deutschland überwiegend mittel bis schwach. Bei den Weiterbildungsaktivitäten liegt Deutschland unter dem europäischen Durchschnitt. Die Plattformen zur Kommunikation und Diffusion von Innovationen sind eher dezentral und wenig exponiert.
Nicht eindeutig als Stärken oder Schwächen einzuordnen waren folgende Faktoren: Bei der Produktivität befindet sich Deutschland eher im Mittelfeld. Die Anzahl der Architekten ist überdurchschnittlich. Bezogen auf die Regulierung ist der Standard in Deutschland ungeachtet der EU-Normierungen noch vergleichsweise stark. Im Vergleich mit anderen Ländern ist die Investitionsquote niedrig und die Fertigungstiefe ausgeprägt.
Ergebnisse aus dem Vergleich Deutschlands und der sechs vertieft untersuchten Länder bezogen auf die zugrunde gelegten Forschungsfragen:
- Länderspezifische Innovationspfade und Fortschritt der Industrialisierung:
Zwar besteht auch in der Bauwirtschaft die Tendenz zu einem europäischen Binnenmarkt mit einheitlichen Standards doch ein wesentlicher Teil des Innovationsgeschehens folgt noch immer spezifischen nationalen Innovationspfaden. Dabei beeinflussen die national teilweise deutlich unterschiedlichen Baukulturen, die jeweiligen Spezialisierungen vor allem in den vor gelagerten Branchen der Baustoff– und Baumaschinenhersteller oder die unterschiedlichen Schwerpunkte bei spezifischen Rohstoffen die nationalen Innovationssysteme wesentlich. - Unterschiede bei dem Einfluss von Regulierungen:
Der komplexe Bereich der Regulierung konnte im Rahmen dieser Studie nur sehr allgemein behandelt werden. Durch europäische Anforderungen und Initiativen fanden sich gemeinsame Trends wie die Betonung der leistungsbasierten Regulierung, die Teilprivatisierung der Qualitätssicherung, die wachsende Bedeutung der Zertifizierung sowie die steigende Regulierung in den Bereichen Energieeffizienz und Nachhaltigkeit. Generell bleiben aber deutlich unterschiedliche nationale Traditionen bestehen, die das Innovationsgeschehen strukturieren und der Internationalisierung der Bauwirtschaft weiterhin enge Grenzen setzen. - Rolle der Energie- und Ressourceneffizienz für die künftige Entwicklung der Bauwirtschaft:
Bei den zunehmenden Regulierungen im Feld der Energieeffizienz ist das Innovationspotenzial am deutlichsten erkennbar. Bei der Betrachtung der Veränderungen einzelner Komponenten eines Gebäudes unter Aspekten der Energieeffizienz kann der Wertschöpfungskette Bau unter technischen Aspekten eine durchaus hohe Innovationskraft zugesprochen werden. - Identifikation und Lokalisierung innovativer Akteure innerhalb der Wertschöpfungskette:
Bezogen auf die Innovationstreiber aus den Unternehmen finden sich in den meisten Ländern Gemeinsamkeiten. Neben international tätigen Großunternehmen mit eigenen Entwicklungsabteilungen finden sich auch klassische „Tüftler“ in den kleinen Unternehmen des Kernbereichs der Bauwirtschaft und innovative Impulse seitens der Architekten und Planer. Insgesamt gehen innovative Impulse aber vor allem von den oft spezialisierten mittleren Unternehmen der vor gelagerten Wertschöpfungsstufen aus. - Rolle des Bauhauptgewerbes im Innovationsprozess:
Im Bauhauptgewerbe fallen komplexe und wissensintensive Anforderungen wie in kaum einem anderen wirtschaftlichen Bereich zusammen. Es stellen sich fast immer neue, spezifische Herausforderungen die innovative Lösungen erfordern, wenn es darum geht, unterschiedliche Technologien bezogen auf die jeweils spezifischen Anforderungen vor Ort zu integrieren. Hier finden sich allerdings auch in allen Ländern die zentralen Engpässe für die Diffusion von Innovationen, da es oft bereits an der Dokumentation mangelt. - Prozessorganisation und Prozessmanagement innerhalb der Bauwirtschaft:
Die Prozesse bilden den zentralen Innovations- und Wettbewerbsfaktor der Unternehmen des Bauhauptgewerbes. Die Frage nach der Prozessoptimierung und den damit verbundenen neuen Geschäftsmodellen bleibt die Schlüsselfrage für die weitere Entwicklung der Wertschöpfungskette Bau.
Die Qualifizierung der Beschäftigten sowie deren Kompetenz zur gewerke- bzw. fachgruppenübergreifenden Zusammenarbeit, zur Nutzung neuer informationstechnischer Möglichkeiten und zur Koordination und Dokumentation der Prozesse dürften hier eine zentrale Rolle einnehmen. - Diffusion von Innovationen:
Die Diffusion ist wesentlich für die Beantwortung der Frage nach den Prozessinnovationen. In den Expertengesprächen war die Fragmentierung der Wertschöpfungskette immer wieder Thema, die als Erklärung für die begrenzte Diffusion aber nicht ausreichte. In dieser Beziehung sind in den vergangenen Jahren mit Clustern, Netzwerken, Plattformen oder neuen Transferformaten Erfahrungen in verschiedenen Branchen gesammelt worden, die in national unterschiedlicher Ausprägung auch Eingang in die Bauwirtschaft gefunden haben.
Herausgearbeitete Benchmarks als Beispiele guter Praxis auf Basis der Untersuchungen in den sechs Ländern und ergänzender Recherchen:
1. Das Byggeriets Evaluerings Center (BEC) – Benchmarkinginstitut für den dänischen Bausektor als Benchmark für die Schaffung von Anreizen zur optimalen Projektdurchführung durch Transparenz und Vergleichbarkeit auf Basis von Evaluierung und gesetzlichen Vorschriften
2. das britische KPI-Benchmarkingsystem und Constructing Excellence in the Built Environment als Benchmark für die Förderung von Lernprozessen auf Basis der Evaluierung in Kombination mit gesetzlichen Datenerhebungsvorschriften
3. die öffentliche Förderung von Partnering in Dänemark als Benchmark für eine erfolgreiche Integration innerhalb der Wertschöpfungskette unter Einbezug der Nachfrageseite
4. die Schweizer Forschungs- und Innovations-Cafés als Benchmark für eine in einem Bottom-up Prozess entstandene Innovationsförderung sowie
5. das wissenschaftliche und technische Bauzentrum ‘Centre Scientifique et Technique de la Construction‘ in Belgien als Benchmark für eine selbstorganisierte, funktional und disziplinär integrierte Bauforschung.
Diese Benchmarks sind als Anregungen zur weiteren Stärkung des Innovationssystems der deutschen Wertschöpfungskette Bau und nicht als einfach zu übertragende Modelle zu verstehen. Die im Rahmen des Benchmarkworkshops vorgestellten Beispiele (1, 4, 5) haben gezeigt, dass ein starkes Problembewusstsein sowie ein hohes Maß an Selbstinitiative und Selbstorganisation aus der Wertschöpfungskette als wesentliche Erfolgsfaktoren anzusehen sind.