Gutachten zur Seniorenwirtschaft "Die volkswirtschaftlichen Kosten der Nichtbeachtung ökonomischer Ressourcen und Stärken älterer Menschen" / WIRE

Ausgangslage

Bereits seit mehreren Jahren beschäftigt sich das Institut Arbeit und Technik mit den ökonomischen Auswirkungen des demographischen Wandels. Auf den Forschungsergebnissen, die dahin gehen, die Alterung der Gesellschaft nicht nur zu problematisieren, sondern vor allem als gestalterische Chance zur Entwicklung der NRW Wirtschaft zu sehen, beruht die Entwicklung des Feldes Seniorenwirtschaft im Rahmen der gleichnamigen Landesinitiative.

Die gängigen Annahmen zum Zusammenhang von Wirtschaft und Sozialsystem in der wissenschaftlichen und politischen Diskussion sehen den demographischen Wandel überwiegend als Ursache wachsender Ausgaben für die Sozial- und Gesundheitsversorgung der Bevölkerung und damit derzeit vor allem als eine Belastung für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass hohe, lohnarbeitsbezogene Abgaben die Preise deutscher Produkte auf den Weltmärkten verteuern und so zu einem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft führen. Vor diesem Hintergrund wird eine Begrenzung, möglichst sogar ein Rückbau der Sozialabgaben sowie eine teilweise Umfinanzierung angestrebt – weg von der paritätisch getragenen Umlagefinanzierung, hin zu privat getragenen kapitalgedeckten Vorsorgeformen.

Allerdings bleibt dabei völlig unberücksichtigt, dass die bisherigen sozialen Sicherungssysteme und die von ihnen geleisteten Ausgaben auch ihrerseits eine hohe wirtschaftliche Bedeutung haben. So ist etwa in den letzten Jahren von der Forschung herausgearbeitet worden, dass die Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen für ältere Mitbürgerinnen und Mitbürger einer der wichtigsten Stützen für die Schaffung neuer Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor gewesen sind und dass – unter ceteris paribus Bedingungen – sich dieser Trend auch in den nächsten Dekaden fortsetzen wird. Dabei profitierten nicht nur die Gesundheits- und Pflegedienste, sondern auch vor- und neben gelagerte Branchen.

Insgesamt erwiesen sich viele finanzielle und inhaltliche Impulse, die aus dem Bereich der Gesundheits- und Sozialpolitik in zahlreiche andere Branchen wirkten, dort als Anschub für Wirtschaft und Beschäftigung.

Neben diesen Zusammenhängen ist aber auch zu berücksichtigen, dass die älteren Menschen in ihren unterschiedlichen gesellschaftlichen Rollen – z. B. als Verbraucher, als Arbeitnehmer, als Unternehmer – und sozialen Situationen über bestimmte Ressourcen verfügen (berufliche und soziale Qualifikation, Erfahrung, Geld, Kompetenz,…).

Viele dieser Ressourcen liegen zur Zeit brach − es fehlen seniorengerechte Produkte und Dienstleistungen, es fehlen unternehmerische Impulse, es fehlt die Akzeptanz und Einbindung der Erfahrungen der älteren Menschen, sei es am Arbeitsplatz, sei es in der Gesellschaft. Allerdings ist die Bezifferung der Kosten, die diese Nichtbeachtung verursacht, in all ihren relevanten Facetten kaum zu ermitteln. Die Sicherung und Steigerung der Lebensqualität älterer Menschen ist ein Faktor, der in den vorliegenden Wirtschaftsstatistiken nicht auftaucht. Mit Hilfe von volkswirtschaftlichen Modellen in Ergänzung der bestehenden volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, kann es aber zumindest ansatzweise ermöglicht werden, die volkswirtschaftlichen Kosten für einige Teilbereiche – insbesondere für den konsumtiven Sektor – zu separieren und annäherungsweise abzubilden, um die Nutzen-Argumentation für den Ausbau seniorenorientierter Aktivitäten damit ökonomisch zu untermauern.

Ziele

In der vorliegenden Expertise des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung in Essen werden die Auswirkungen möglicher seniorenwirtschaftlicher Impulse auf gesamtwirtschaftliche Entwicklung Nordrhein-Westfalens auf Basis der bisherigen durch das IAT erarbeiteten Grundlagen und Hypothesen geschätzt. Dabei werden die Veränderungen im Vergleich mit der zu erwartenden Entwicklung ohne entsprechende Eingriffe abgebildet.

Vorgehen

Die Prognose erfolgte mit Hilfe eines bereits in anderen Zusammenhängen erprobten regional-ökonometrischen Modells. Auf Basis dieser Berechnungen werden die Effekte auf die Beschäftigung, das BIP, die Bevölkerung und die Steuereinnahmen des Landes und der Kommunen in NRW geschätzt.

Sieben Szenarien zeigen anhand von zentralen wirtschaftlichen Kennziffern auf, welche Effekte in Folge ausgewählter Impulse zur Förderung der Seniorenwirtschaft im Zeitraum von 2006 bis 2015 zu erwarten sind. Auf Grundlage der Ergebnisse lässt sich beurteilen, ob und welcher Beitrag zur Aktivierung der wirtschaftlichen Potenziale Älterer sowohl hinsichtlich ihrer Arbeitskraft als auch hinsichtlich ihres Konsums für die wirtschaftliche Entwicklung Nordrhein-Westfalens geleistet werden sollte.

Die Ergebnisse wurden in einer Explorationsexpertise festgehalten, die zur Unterstützung der Europäischen Tätigkeiten auch ins Englische und Französische übersetzt wurden.

Kooperationspartner

Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung (RWI), Essen.